Presse

Der Alltag in der Auffangstation

Zwei Tage wartete Nyala vergeblich im Übungswald auf ihren neuen Freund. Am dritten Tag raschelte es plötzlich neben ihr. Sie drehte sich um und Rimba lugte hinter einem dicken Ast hervor. „Wo warst du so lange? Ich hatte Angst, dass dich die Menschen gefangen genommen haben.“ Rimba antwortete seiner besorgten Freundin, dass er und seine Mutter einen großen Feigenbaum aufgesucht hatten.

Dort gab es viele reife Früchte.

Zeichnung von Felix Scholz: Zwei junge Orang-Utans hängen in einem Baum.

Illustration: Felix Scholz

Der Weg zum Übungswald war zu weit, um sich unauffällig davonzuschleichen. Nyala kam ins Grübeln. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es ist, wenn man tagelang im Wald umherstromert. Ihr blieben nur die täglichen Ausflüge in den Übungswald. Aber später würde sie hoffentlich in den großen Wald zurückkehren.

Zeichnung von Rimba.

Illustration: Verena Peters

Sie begann, ihrem Freund von ihrem Leben in der Auffangstation zu erzählen. „Anstatt von unseren Müttern lernen wir Waisenkinder von Pflegerinnen, was wir zum Überleben im Regenwald wissen müssen. Viele von uns haben hier in der Auffangstation das erste Mal seit langer Zeit wieder Kontakt mit Artgenossen. Einige meiner Freunde wurden in viel zu kleinen Holzkisten als Haustiere gehalten. Die Menschen hier sind anders. Sie sorgen dafür, dass es uns gut geht. Sie nehmen sich Zeit und zeigen uns, was wir fressen dürfen und was nicht“.

„Im Übungswald lernen wir das Klettern und Schlafnester zu bauen. An manchen Tagen habe ich keine Lust, in die Auffangstation zurückzugehen,“ gab Nyala zu, „aber ich habe auch noch große Angst, dass ich mich nicht alleine im Wald zurechtfinde. Ich habe ja keine Mutter mehr, die mir dann hilft…“ „Das tut mir sehr leid“ sagte Rimba traurig. „Danke,“ sagte Nyala, „aber wenigstens bin ich gesund und kann irgendwann alleine im Wald leben. Andere Kinder, die auch hier in der Auffangstation leben, hatten weniger Glück als ich. Sie wurden angeschossen, als ihre Mütter getötet wurden. Einige von ihnen können nie wieder richtig klettern. Und so können sie auch nie alleine zurück in den Wald. Sie werden für immer die Hilfe der Menschen benötigen.“ „Das ist ja schrecklich!“ rief Rimba. Ihm taten die Waisenkinder wirklich sehr leid und er verstand, wie froh er sein konnte, dass seine Mutter noch lebte. „Weißt du was?“ fragte Rimba „Wir werden die anderen einfach immer in der Auffangstation besuchen, wenn wir groß sind. Dann erzählen wir ihnen, was im Wald so passiert und ihnen wird nicht langweilig.“ „Das ist eine tolle Idee, Rimba!“ sagte Nyala.

Warenkorb
Nach oben scrollen